Jungtürkische Revolution

Jungtürkische Revolution
Jungtürkische Revolution
 
Bereits in den Sechzigerjahren des 19. Jahrhunderts hatte sich eine jungtürkische Vereinigung gebildet, die das Osmanische Reich grundlegend umgestalten wollte. Man setzte sich die Abschaffung der Despotie unter dem verschwenderischen Sultan Abd Al Asis (1861-76), die rechtliche Gleichstellung der Untertanen aller Konfessionen und Nationalitäten im Reich und die Modernisierung der Staatsverwaltung nach europäischem Vorbild zum Ziel, ohne die Bindung an die islamische Ordnung aufgeben zu wollen. Die Organisation betätigte sich sowohl in der Türkei wie auch in Paris, Genf und London und löste sich um 1871 auf; später wurden ihre Anhänger zur Unterscheidung von den folgenden Revolutionären als »Jungosmanen« bezeichnet.
 
Die Anfänge der eigentlichen jungtürkischen Bewegung, die sich selbst Vereinigung (Komitee) für »Einheit und Fortschritt« nannte, ge hen auf das Jahr 1889 zurück. Sie entstand in der jungen Generation der Kadetten und Offiziere, Studenten und Beamten mit ähnlichen Zielsetzungen wie die der Jungosmanen, jedoch mit geringerer Betonung der islamischen Komponente und einer später stärkeren Orientierung auf das Türkentum und einen Pantürkismus unter Einbeziehung der Turkvöl ker in Russland. 1894 wurde Sultan Abd Al Hamid II. (1876-1909), der die osmanische Verfassung von 1876 im darauf folgenden Jahr wieder suspendiert hatte, seine politischen Gegner verfolgte und verbannte sowie durch ein ausgedehntes Spitzelsystem das Reich kontrollierte, auf die Jungtürken aufmerksam. Er versuchte, ihre Organisation zu zerschlagen, einige Mitglieder aber auch durch Amnestien für sich zu gewinnen, während andere Vertreter der Bewegung von Paris aus weiter gegen ihn agitierten.
 
Eine Militärrevolte in Saloniki, nach Konstantinopel der wichtigsten Stadt des Osmanischen Reiches, zwang Abd Al Hamid im Sommer 1908, die Verfassung von 1876 wieder in Kraft zu setzen; ein Gegenputsch seiner Anhänger im Frühjahr 1909 kostete den Sultan schließlich den Thron. Nachfolger wurde sein Bruder Mehmed V. (1909-18), die politische Macht ging jedoch an die Jungtürken über; deren prominenteste Vertreter waren Enwer Pascha, Vizegeneralissimus und Schwiegersohn des Sultans, Talat Pascha, ein ehemaliger Postbeamter, dann Minister und Großwesir, und Kemal Pascha, der spätere Gouverneur von Syrien. Sie übernahmen die Regierungsgeschäfte, abgesehen von einer kurzen Unterbrechung 1912/13. Mustafa Kemal Atatürk, der erste Präsident der Türkischen Republik, gehörte nicht zum engsten Kreis der Revolutionäre.
 
Am 2. August 1914 schlossen die jungtürkischen Vertreter in der Osmanischen Regierung einen Geheimvertrag mit dem Deutschen Reich und traten am 29. Oktober 1914 an der Seite der Mittelmächte in den Ersten Weltkrieg ein. Angesichts des drohenden Zusammenbruchs gegen Ende des Krieges wurde die letzte jungtürkische Regierung am 8. Oktober 1918 abgesetzt. Ihre Führer flohen ins Ausland; Talat wurde 1921 in Berlin, Kemal 1922 in Tiflis von Armeniern, die für den Völkermord an ihren Landsleuten 1915 in Anatolien Rache nehmen wollten, ermordet, Enwer fiel 1922 in Innerasien im Kampf gegen die Sowjetunion. In der neuen Türkischen Republik sollten die Jungtürken, die als politische Reformbewegung das Osmanische Reich in das 20. Jahrhundert geführt hatten, keine Rolle mehr spielen.

Universal-Lexikon. 2012.

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